27 August 2012

Überraschung

Das gefiel dem Angeklagten gut, dem Staatsanwalt weniger.

Bei einer zu erwartenden Strafe von weniger als drei Jahren und bisher verbüßter Untersuchungshaft von 4 1/2 Monaten und einer Anwendung von § 64 StGB oder 35 BtMG meinte das Gericht, die Staatsanwaltschaft darauf hinweisen zu können, dass von Fluchtgefahr wohl nicht mehr ausgegangen werden könne, zumal die familiären Verhältnisse gefestigt erscheinen.

Das gefiel dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zwar nicht besonders gut, das änderte aber nichts daran, dass das Gericht während der laufenden Hauptverhandlung den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben hat und dieser in der nächsten Pause nicht wieder in die Zelle musste sondern mit seiner Familie Kaffee trinken könnte - außerhalb des Gerichtes!

Ihm hat es gefallen.



DEIN RECHT IST MEIN JOB
STRAFJURIST, bundesweite Strafverteidigung

9 Kommentare:

Ein Staatsanwalt hat gesagt…

Ja, einen vergleichbaren Fall hatte ich auch einmal. Da meinte ein Gericht, dem Angeklagten einen Gefallen zu tun, indem es den Haftbefehl aV setzte, da der anzuordnende Vorwegvollzug durch die U-Haft nahezu vollständig aufgebraucht war.

Mit dem Erfolg, dass ich den jungen Mann eine Woche später wieder einsammeln konnte. Mit einer Rauschgiftmenge, die nach weiteren fünf Monaten Untersuchungshaft die insgesamt zu verbüßende Haftstrafe mal schlank von drei Jahren auf sieben Jahre mehr als verdoppelt hat. Und bei seiner zweiten Verhandlung hat er den Vorsitzenden Richter (es war wieder der gleiche) sogar ausdrücklich darum gebeten, ihn nicht noch einmal untherapiert rauszulassen. (Nicht, dass ernsthaft die Gefahr bestanden hätte, dass der es noch mal wiederholt.)

Woraus wir lernen: Wer einen untherapierten Abhängigen auf freien Fuß setzt, setzt ihn damit der Versuchung aus, es bis zu seinem Straf- oder Therapieantritt noch mal so richtig krachen zu lassen, was zu durchaus fatalen Konsequenzen führen kann.

Werner Siebers hat gesagt…

ja, ja, wie das Leben so spielt. Ich kenne diese GESCHICHTEN, nehmen wir mal an, sie würde stimmen: Wo soll denn der Haftgrund gewesen sein?

data100data100 hat gesagt…

Nach gut 3 Wochen endlich wieder ein Post. Ich dachte schon
Hr. siebers hat den Urlaub so gut gefallen das er gleich dageblieben ist :-)

Habe ich das richtig verstanden das die U-Haft 3 Jahre gedauert hat ? Habe den Begriff Vorwegvollzug noch nie gehört !

Frage an Hr. Siebers:
Ärgern sich eigentlich manchmal Anwälte noch über die Blödheit Ihrer Mandanten ???

Ein Staatsanwalt hat gesagt…

Wenn wir einen Haftgrund suchen - wie wäre es denn mit § 112a StPO?

data100data100 hat gesagt…

Auszug:
wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat begangehn zu haben

Der erste teil steht im Konjuntiv da dringend verdächtigt begangen zu haben und in diesem Zusammnehang von schwerwiegend zu sprechen ist als würde man mit Kanonen aus Spatzen schiessen. Ich frage mich welche Tatsachen vorgelegt worden die die Gefahr begründet haben das daß er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begeht oder die Straftat fortsetzen wird ?

Leider ist in aus dem Post auch nicht zu entnehmen warum auch Freiheitsstrafe von mehr als einem jahr dabei rauskommen soll !

Ein Staatsanwalt hat gesagt…

Also einen Konjunktiv finde ich im § 112a StPO beim besten Willen nicht. Die Gefahr gleichartiger rechtswidriger Taten ist bei untherapierten Abhängigen, die wegen Taten verurteilt werden, die sie aufgrund ihrer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen haben (eine Feststellung, um die Verteidiger mitunter kämpfen bis aufs Blut) meines Erachtens offensichtlich. Und die zu erwartende Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr hat man bei Verbrechenstatbeständen grundsätzlich einmal immer (und die meisten im Katalog von 112a genannten Tatbestände sind Verbrechen).

data100data100 hat gesagt…

Aus Wikipedia:
Der Konjunktiv wird für die Darstellung einer Möglichkeit benutzt und daher auch als Möglichkeitsform bezeichnet.

Man kann es auch so formulieren: Es besteht die Möglichkeit das der Angeklagte wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat begangehn zu haben. Begangen zu haben impliziert es eigentlich schein deutlich ! Nur weil estwas Möglich ist muss es auch nicht so gewesen sein.
Der Staat ist beweispflichtig. Bis dahin muss man von einem Einzelvergehen ausgehen !

Und in diesem Fall sind die Staatsanwälte wohl gleichzeitig auch ein Oracle denn nur weil etwas wahrscheinlich passieren könnte muss es dennoch nicht eintreten. Ich kann da Rechtsanwälte sehr gut verstehen da den Angeklagten bei der Strafmasentscheidung etwas zur Last gelegt wird was Sie noch faktisch noch garnicht begangen haben nur aufgrund einer Möglichkeit soll die Strafe höher ausfallen. Und wie schon gesagt die Staatsanwaltschaft muss beweisen das es wiederholt oder fortgesetzt wurde.

Ein Staatsanwalt hat gesagt…

Ich fürchte, wir reden etwas aneinander vorbei.

Die Anordnung der Untersuchungshaft ist letztlich immer eine Prognoseentscheidung, weil man es für überwiegend wahrscheinlich hält, dass der Beschuldigte sich dem Verfahren entziehen wird/Beweismittel beiseiteschaffen oder auf Zeugen einwirken wird/weitere erhebliche gleichartige Straftaten begehen wird wie die, der er bereits begangen hat.

Das hinterher ausgeurteilte Strafmaß kann natürlich nur auf Straftaten beruhen, die der Beschuldigte tatsächlich auch begangen hat.

Falls mein Beispiel missverständlich gewesen sein sollte: Es ging um einen Herren, der in Untersuchungshaft war, in der Verhandlung zu einer Freiheitsstrafe und einer Unterbringung verurteilt wurde und dessen Haftbefehl mit Urteilsverkündung aufgehoben wurde. Noch bevor er seine Strafe antreten konnte, hat er weitere Straftaten begangen, für die er wieder in Untersuchungshaft kam, und für die er letztlich zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde (nicht gesamtstrafenfähig mit den vorgennanten drei Jahren). Letztere Verurteilung wäre im Fall der Aufrechterhaltung des Haftebefehls aufgrund zumindest bestehender Wiederholungsgefahr vermeidbar gewesen...

data100data100 hat gesagt…

OK dann haben wir tatsächlich aneinander vorbei geredet.
Bei der Sache mit den Prognoseentscheidungen bin ich echt am haddern denn Prognosen sind nichts anderes als Wettervorhersagen. Das ist mir alles zu ungenau. Auf der anderen Seite bleibt aber dann die Frage nach was man sonst gehen soll ?

Die U Haft ist ja nach nachvollziehbar wenn wirklich Verdunklungsgefahr bestanden hat. Selber schuld das er in der kurzen Zeit wieder straffällig geworden ist und dann auch eine härtere Strafe bekommen hat. Was mich nur stört ist die Behauptung das es hätte vermieden werden können wenn der Haftbehl nicht außer vollzug gesetzt worden wäre weil das wieder in den Bereich von Vorhersagen fällt. Aber der Herr hatte es ja selber in der Hand ob er wieder straffällig wird mit z.B. BTM

 

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