22 April 2012

Ein pseudofairer Fragenkatalog

Der Mandant berichtet im Nebensatz, dass "sein Zeuge", ein Freund, einen sehr fairen Fragenkatalog von der Polizei erhalten hat.

Nur faire Fragen! Ich darf mal reinschauen, die einzigen fairen Fragen sind die nach Name, Vorname, Geburtsdatum und Adresse. Der Rest: typische Polizeifragen, hochsuggestiv und zielgerichtet. Nicht etwa:

Hat Herr X. Alkohol getrunken?

sondern:

Wieviel Alkohol hat Herr X. getrunken?

Nicht:

Haben Sie gesehen, ob jemand mit Gegenständen geworfen hat?

sondern:

Hat Herr X. außer mit der Bierflasche noch mit anderen Gegenständen geworfen?

Typisch ermittlerische "Fairness"! Aber so verkauft, dass der Befragte auch noch darauf hereinfällt und tatsächlich glaubt, es handele sich um einen fairen Fragenkatalog. Alles Schmu!




DEIN RECHT IST MEIN JOB
STRAFJURIST, bundesweite Strafverteidigung

7 Kommentare:

Gast hat gesagt…

Mindestens die erste Frage ist, da sie unproblematisch die Antwort "gar keinen" ermöglicht, in keiner Weise suggestiv.

Bei der zweiten müsste man wissen, ob der Wurf der Bierflasche überhaupt ernstlich infrage steht (oder zB vom Mandanten längst eingeräumt wurde). Wenn nicht, ist auch an dieser Frage nicht das Geringste auszusetzen.

Werner Siebers hat gesagt…

@Gast

Ja, dem stimme ich zu, das kennt man ja von Kindern: Es gibt immer irgendwie eine Ausrede, und sei sie noch so platt.

kj hat gesagt…

vor allem würde die erste Frage eine vollständige Antwort mit ja zulassen.
Die wäre aber nicht ergiebig, da es letztlich auf die Menge ankommt.

Anonym hat gesagt…

@Gast

Seien Sie versichert, daß die als Beispiel vorliegende Frage aus Erhebungssicht nicht als neutral eingestuft werden kann. Hier wird ein klassischer empirischer Bias ausgenutzt, und zwar der Acquiescence-Bias. Das bedeutet, daß bei einer Vorformulierung der Frage mit einem bejahendem Frageinhalt (d.h., die Frage beinhaltet einen Teil der möglichen Antwort in direkter oder indirekter Form) der Anteil der verneinden Antworten deutlich geringer ist als im Vergleich mit einer Frage mit neutralem oder vollständig formulierten Frageinhalt. Die funktioniert sowohl bei boolschen Antworten (ja/nein), als auch bei Mengen (wieviel, wieoft, wielange) und sogar bei selbst zu definierenden Antwortbereichen ("Geben Sie Beispiele dafür an"). Für den Befragten ist nicht offensichtlich, daß eine neutrale Beantwortung (X trank gar keinen Alkohol) ebenso wie eine NULL-Antwort (Da ich mich nicht permanent bei X aufhielt, kann die Frage durch mich nicht beantwortet werden) möglich ist.

Ich würde allerdings nicht unbedingt einen Vorsatz hier sehen. Empirisch korrekte Datenerhebung umfasst im Soziologiestudium mehrere SWS, das ist nicht nur ein Nebenbereich, wie und wann soll man das als Polizist gelernt haben, wie Fragen auf Bias kontrolliert, und Verzerrungseffekte herausgerechnet werden können.

RA Müller hat gesagt…

Um eine halbwegs vernünftige Frage zu formulieren, muß man nicht studiert haben. Ausgereicht hätte doch wohl Folgendes: "Hat X vor dem Vorfall Alkohol getrunken? Falls ja: Wieviel?"

Anonym hat gesagt…

Sicher hätte das ausgereicht. Aber ich trau dem Beamten hier durchaus zu, daß er solche Fragebögen im Akkord raushauen muß, und dann einfach keine sonderliche Lust hat, jedesmal über die Fragen nachzudenken, sondern einfach die bisherigen Ermittlungsansätze in Frageform gießt.

Schlampig, ja, aber da sind beispielsweise Richter im selben Boot, die einfach die Anträge der Staatsanwaltschaft auf buntes Papier kopieren (lassen), ums vom Schreibtisch zu haben. Soll heißen, es ist nicht schön, und man sollte drauf hinweisen, aber es gibt glücklicherweise genug Beamte, die es dafür korrekt machen.

Und ja, das ist natürlich keine Entschuldigung für die Fragequalität, nur ein Versuch, die Qualität des beschriebenen Verhaltens in die Bandbreite möglicher polizeilicher Maßnahmen einzuordnen, die fehlerhaft sein können.

kj hat gesagt…

Verglichen mit den Suggestivfragen die Richter, Staatsanwälte und vor allem Anwälte an Zeugen stellen, sind die obigen Fragen noch ziemlich wenig beeinflussend.

Habe als Zeuge wiederholt erlebt, das die die Wahrheit gar nicht wissen wollen, einer meinte gar, ich soll nur die gestellten Fragen beantworten, mehr wollen sie nicht wissen. Wäre vielleicht interessant gewesen, das der Täter auch mich erpressen wollte, das hätte aber vielleicht nicht zum beabsichtigten Freispruch gepasst.

 

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