Und dann gibt es die unberechenbaren, zu deren Begabung man sich keine Gedanken machen muss, weil deren Hinterhältigkeit und Unfairness so sehr im Vordergrund stehen, dass es auf deren juristische Begabung gar nicht mehr ankommt.
Ein drastischer Fall liegt mir zur Bearbeitung vor. Ein zum Tatzeitpunkt gerade mal so 18-Jähriger ohne jede Vorbelastung wird mit zwei anderen vor der Jugendrichterin wegen eines Körperverletzungsdeliktes angeklagt, die Anklage wird zugestellt.
Die Jugendrichterin fragt bei der Staatsanwaltschaft, ohne dass die Angeschuldigten davon informiert werden, nach, ob Bedenken bestehen, die Anklage "wegen der Schwere des Tatvorwurfes" vor dem Jugendschöffengericht zu eröffnen.
Ohne dass den Angeklagten auch nur die Chance einer Einflussnahme ("rechtliches Gehör"!) gegeben wird, eröffnet sie dann vor dem Jugendschöffengericht.
Trotz der Eröffnung vor dem Jugendschöffengericht, was nach ganz herrschender Meinung zwingend die Beiordnung von Pflichtverteidigern gebietet, verhandelt das Jugendschöffengericht gegen alle drei Angeklagten ohne Verteidiger.
Bezüglich des nicht vorbelasteten Heranwachsenden beantragt der nicht als Weichei verschrieene Sitzungsvertreter weniger als 100 Arbeitsstunden. Verurteilt wird er dann aus dem Nichts heraus zu zwei Wochen Dauerarrest.
Ein unglaublicher Vorgang, die Eltern des Verurteilten meinen, das sei Rechtsbeugung. Nun, beim Schöffengericht weiß man nie, ob jemand überstimmt wurde, aber die Vermutung liegt natürlich nah, dass das Ergebnis ins Bild passt.
DEIN RECHT IST MEIN JOB
STRAFJURIST, bundesweite Strafverteidigung
10 Kommentare:
Wenn ich auch oft die Kritik an Richtern und ihre Maßnahmen für überzogen halte, dies ist ein Hammer und sollte dazu führen, dass man solchen Richter sofort als Jugendrichter und Strafrichter ablöst.
Schöffengericht hat die doch nur gemacht, um ihre Statistik zu sponsern!!!
Ich habe in Düsseldorf 4 Jahre als Schöffe gesessen. Mir ist es mehrfach passiert, daß Vorsitzende beiderlei Geschlechts huldvoll in Richtung Schöffen nickten und meinten, das Urteil sei ja wohl klar. Wenn ich dann trotzdem mit Nachfragen kam, stiess dies in der Regel auf wenig Begeisterung. Wenn ich die einzige Gegenstimme war, wurde die alte "sie wollen doch nicht alleine dagegen stimmen" Nummer gefahren. Ich konnte das ab. Für mich war klar, wenn ich meine Hand hebe und an einer Verurteilung mitwirke, nur bei einigermassen oder sehr starker Überzeugung bezüglich der Richtigkeit des Sachverhaltes. Der Großteil meiner Mitschöffen war teils sofort der Meinung des Vorsitzenden oder wollte schlicht und ergreifend schnell wieder nach Hause. Für mich eine Reihe erschreckender Erfahrungen. Was für ein Glück, daß mein Glauben an Institutionen nicht so fest gemauert ist.
"Hinterhältig"?
Also wenn ich in meinem Meyer-Goßner nachschlage, steht dort, dass streitig (und keineswegs ganz hM) ist, ob bei drohender Jugendstrafe ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Offenbar wird durchaus auch (OLG Brandenburg v. 28.11.01) vertreten, dass das erst ab JS von 1 Jahr aufwärts der Fall ist.
Und eine Anhörung des Angeschuldigten bei einer Vorlage an das Gericht höherer Ordnung ist laut M/G 209a Rdnr. 8 auch nicht notwendig,auf die Schnelle finde ich nichts Spezielleres im JGG; 40 JGG betrifft nur die Anhörung bei Vorlage von JugendSchöffG an Jugendkammer.
Dazu braucht man keinen Kommentar, um zu erkennen, dass § 201 STPO dem Empfänger der Anklage was zur Eröffnung des Verfahrens sagen lassen soll. Wenn man ihm aber verschweigt, dass man von der Anklage abweichen will, ist das hinterhältig und verletzt das faire Verfahren.
Stark im Ton, schwach in der Sache. Verteidiger gibts (von Bundesland zu Bundesland) auch erst ab einem Jahr Straferwartung, drunter natürlich vertretbar, aber keinesfalls h.M.; Jugendschöffengericht gibts ab Erwartung einer Jugendstrafe. Da ist also Raum für Schöffengericht ohne Verteidiger.
"Drei Angeklagte wg. eines Körperverletzungsdelikt" dürfte wohl gef. KV (224 StGB)sein; bei Anwendung des Erwachsenenstrafrechts gehts ab 6 Mo (Freiheitsstrafe) los. Die hätte er nun auch kriegen können; da find ich nun 2 Wo Dauerarrest annehmbar.
Und das die Eltern mit der Verurteilung Ihres Sohnes nicht einverstanden sind, dürfte wohl kein Indiz für Rechtsbeugung sein.
Und im Übrigen: Arrest gibts auch vom Jugendrichter; also was bitte war so schlimm an der Hocheröffnung?
Nichts dagegen, wenn Missstände benannt werden; allerdings sollte man keine konstruieren....
Der Missstand ist nicht, dass kein Pflichtverteidiger beigeordnet wurde. Das ist zwar falsch aber hinnehmbar.
Aber es gehört zum Grundsatz des fairen Verfahrens und zur prozessualen Fürsorgepflicht eines Gerichtes, dem Angeschuldigten rechtliches Gehör zu der beabsichtigten Hochverweisung zu geben, und ihn damit nicht durch einen nicht rechtsmittelfähigen Beschluss zu überrumpeln.
Gerade vor dem Hintergrund, dass im Jugendstrafrecht nur ein Rechtsmittel möglich ist, mit dem nicht einmal die Sanktion selbst angegriffen werden kann, wenn sie keine Jugendstrafe (und weiter hier nicht einschlägige Ausnahmen) ist, zwingt ein Gericht, besonders umsichtig mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs umzugehen.
In Bayern gibts für schwerwiegendere gefährliche Körperverletzungen in der Regel Arrest! Und das in der Regel vom Jugendrichter...
Jugendschöffengericht ohne Pflichtverteidiger isst auch in meinem Beritt immer wieder an der Tagesordnung. Das zuständig LG findet das auch OK.
Auch der Hinweis auf die Kölner Richtlinien wurde dort nur beschmunzelt.
Eine Eröffnung vor dem Jugendschöffengericht ist dann zulässig, wenn eine Jugendstrafe (die ist immer ab 6 Monate) zu erwarten ist. Für eine zu erwartende geringere Strafe ist gem 39 JGG der Jugendrichter zuständig.
Art 6 MRK verpflichtet zur Beiordnung eine Verteidigers in Strafsachen mit der Einschränkung der Interesse der Rechtspflege.
Ob die hier geschilderte deutsche Praxis, erst bei einer zu erwartenden Haftstrafe ab 1 Jahr einen Pflichtverteidiger, gerade für Jugendliche, für notwendig zu erachten mit obiger Norm zu vereinbaren ist, da habe ich meine Zweifel.
Wenn ich Vorsitzender eines Schöffengerichts wäre, würde ich mich jedenfalls schämen, einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers abzulehnen, wenn dem Jugendlichen mehr als 6 Monate Haft drohen, egal wie mein OLG das sieht.
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