13 September 2009

OLG Braunschweig zur Nichtladung eines Verteidigers

Die Vorsitzende der Berufungskammer hatte mich nicht geladen und war sich nicht zu schade, die Berufung zu verwerfen, obwohl der Staatsanwalt in der Berufungshauptverhandlung feststellte, dass die Staatsanwaltschaft meine Legitimation nicht an das Berufungsgericht weitergeleitet hatte.

Das OLG Braunschweig (Ss 79/09 vom 03.09.2009) hat insoweit deutliche Worte gefunden und festgestellt, dass das Berufungsgericht nicht hätte verwerfen dürfen und einem von mir per Fax gestellten Aussetzungsantrag hätte stattgeben müssen, obwohl auch der Angeklagte nicht erschienen war.

Ich bin mittelmäßiger Hoffnung, dass die Vorsitzende der Berufungskammer die deutlichen Ausführungen des Senats inhaltlich zur Kenntnis nimmt und zukünftig auch beherzigt.


Geschäftsnummer: Ss 79/09
LG Braunschweig: 7 Ns 571/08
StA Braunschweig: 305 Js 11550/08
GenStA Braunschweig: 201 Ss 185/09

Beschluss:
In dem Strafverfahren
gegen
XXX
- Verteidiger:
Rechtsanwalt Werner Siebers, Wolfenbütteler Straße 79, 38102 Braunschweig

wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 3. September 2009 beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 18. Februar 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.


Gründe:

Die zulässige Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache.

Das Amtsgericht Braunschweig hat den Angeklagten am 20. August 2008 wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten unter Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung verurteilt.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Braunschweig am 18. Februar 2009 gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO in Abwesenheit des nicht zum Hauptverhandlungstermin geladenen Verteidigers verworfen. Hierzu stellt die Berufungskammer in ihrem Urteil fest, der Angeklagte habe zwar rechtzeitig Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegt, sei jedoch in dem Termin zur Berufungshauptverhandlung trotz nachgewiesener Ladung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Die Übernahme der Verteidigung sei dem Landgericht erst am 17. Februar 2009 angezeigt worden. Gegenüber dem Amtsgericht habe der Verteidiger zwar am 6. Januar 2009 eine Vertretung des Angeklagten angezeigt, diese sei aber an die Staatsanwaltschaft Braunschweig weitergeleitet und erst am Tag der Berufungsverhandlung in der Handakte der Staatsanwaltschaft aufgefunden worden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Die zulässige Revision ist begründet.

1.
Zwar hat der Angeklagte die Sachrüge erhoben, obwohl das Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO ein Prozessurteil und als solches grundsätzlich mit der Verfahrensrüge anzugreifen ist (vgl. Löwe/Rosenberg-Gössel, StPO, 25. Aufl. 2003, § 329, Rn. 97 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 329, Rn. 48). Entscheidend ist allerdings nicht der Wortlaut, sondern der Sinn der Rüge (BGHSt 19, 273, 275). Die Begründung ist so auszulegen, dass der mit der Revision angestrebte Erfolg eintreten kann (BGH NJW, 1956, 756).

Es ist daher ausreichend, wenn der Sachvortrag zugleich die zur Begründung der Verfahrensrüge notwendigen Tatsachen enthält (Löwe/Rosenberg-Gössel, a. a. 0., Rn. 99; Meyer-Goßner, a. a. 0., Rn. 49).

Die vom Angeklagten erhobene Rüge ist als Verfahrensrüge noch ausreichend ausgeführt worden. An die Zulässigkeit der gegen ein nach § 329 Abs.1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil gerichteten Verfahrensrüge werden keine strengen Anforderungen gestellt, zumal das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, die in der Revisionsbegründung nicht wiederholt zu werden brauchen, gebunden ist (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 84, 85; OLG Düsseldorf, Beschl. vom 19. September 1989 - 5 Ss 352/89 -, Rn. 5, zitiert nach juris). Die Revisionsbegründung lässt im Zusammenhang mit dem Urteil erkennen, dass Gründe vorliegen, die dazu führen, dass das Gericht das Ausbleiben des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen durfte. Jedenfalls dem Gesamtzusammenhang der Revisionsbegründung ist zu entnehmen, dass spätestens einen Tag vor dem anberaumten Termin eine Kommunikation zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger stattgefunden hat, als dieser - ungeladen - noch Kenntnis von dem Termin erlangte. Darauf deuten insbesondere auch die Ausführungen hin, wonach der Verteidiger im Fall eines Hinweises des Landgerichts, den Termin nicht verlegen zu wollen, den Angeklagten hierüber informieren und, wegen seiner eigenen Verhinderung, einen Kollegen als Vertreter hätte entsenden können. Dies impliziert, dass der Angeklagte dann - im Bewusstsein, dem Gericht nicht ohne Verteidiger gegenüber zu stehen - den Termin doch noch wahrgenommen hätte.

2.
Die Revision ist begründet.

Das Gericht durfte nicht vom Fehlen einer ausreichenden Entschuldigung des Angeklagten ausgehen. Ein Entschuldigungsgrund fehlt nicht schon deshalb, weil der Angeklagte diesen nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre (OLG Düsseldorf, NStZ 84, 331; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 329, Rn. 18). Die Entschuldigung kann sich aus den Akten, aus allgemein bekannten Tatsachen und aus naheliegenden Zusammenhängen ergeben (Meyer-Goßner, a. a. 0.; KK-Paul, StPO, 6. Aufl. 2008, § 329, Rn. 9). Hat das Gericht Anhaltspunkte dafür, dass das Ausbleiben des Angeklagten entschuldigt sein kann, so muss es ihnen durch Ermittlungen im Wege des Freibeweises nachgehen. (BayObLG, NStZ-RR 99, 143; Meyer-Goßner a. a. 0., Rn. 19). Hier lagen Anhaltspunkte dafür vor, dass das Nichterscheinen des Angeklagten entschuldigt war.

Rechtsanwalt Siebers war als Wahlverteidiger nicht geladen worden, obwohl dieses rechtzeitig möglich gewesen wäre. Mit Schreiben vom 6. Januar 2009 hatte er seine Bevollmächtigung gemäß § 218 S. 1 StPO angezeigt. Zwar war das Schreiben an das Amtsgericht gerichtet worden, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon das Landgericht mit dem Verfahren befasst war und dieses dem Angeklagten, der bereits die Ladung zur Berufungsverhandlung erhalten hatte, auch bekannt war. Der Angeklagte und sein Verteidiger durften aber darauf vertrauen, dass die Ladung zeitnah an das Landgericht weitergeleitet werden würde. Im Falle einer unrichtigen Adressierung der Verteidigungsanzeige, trägt der Betroffene das Risiko der nicht mehr rechtzeitigen Ladung (vgl. OLG Stuttgart, NJW 2006, 3786; KK-Gmel, StPO, 6. Aufl. 2008, § 218, Rn. 3), nicht aber das Risiko, dass die Verteidigungsanzeige unbeachtet abgeheftet wird. Auch in den Fällen falscher Adressierung hat der Betroffene seiner Anzeigepflicht Genüge getan, wenn bei unverzüglicher Weiterleitung der Anzeige an das zuständige Gericht die rechtzeitige Ladung des Verteidigers noch möglich gewesen wäre. Das Versäumnis einer am Verfahren beteiligten Behörde - hier: die Nichtbeachtung der Verteidigungsanzeige - kann nicht zu Lasten des Betroffenen gehen (vgl. OLG Hamm, VRS 41, 64). Dementsprechend hätte die Verteidigungsanzeige vom 6. Januar 2009 weitergeleitet und der Verteidiger rechtzeitig geladen werden müssen. Der Anzeigepflicht nach § 218 StPO war Genüge getan worden. Der Vorla-
ge einer Vollmacht bedurfte es nicht (vgl. Meyer-Goßner, a. a. 0., § 218, Rn. 4; KK-
Gmel, a. a. 0.).

Dem Aussetzungsantrag des ordnungsgemäß legitimierten aber nicht geladenen Wahlverteidigers hätte das Gericht nach §§ 218, 217 Abs. 1 und Abs. 2 StPO stattgeben müssen. Da dem Landgericht unter den vorliegenden besonderen Umständen insoweit kein Entscheidungsspielraum zukam, durfte der Angeklagte davon ausgehen - zumindest aber darauf vertrauen -, dass der Termin am 18. Februar 2009 nicht stattfinden würde. Bereits dieser Umstand schließt aus, dass der Angeklagte unentschuldigt war.

Für den Fall, dass das Landgericht trotz dieser eindeutigen Rechtslage Zweifel hatte, ob der Angeklagte überhaupt Kenntnis von den genannten Umständen, welche die Terminsverlegung erforderten, hatte und vielleicht unabhängig davon - also aus ganz anderen Gründen - ohne genügende Entschuldigung fern geblieben ist, hätte es diesen Zweifeln im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen müssen. Denn nur die bestimmte Feststellung, nicht nur der Verdacht, der Angeklagte sei nicht genügend entschuldigt, rechtfertigt die Verwerfung der Berufung; bloße Zweifel reichen für eine Entscheidung nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht aus (Meyer-Goßner, a. a. 0., § 329, Rn. 22; KK-Paul, a. a. 0., § 329, Rn. 8).

3.
Das Urteil beruht auch auf dem aufgezeigten Rechtsfehler i. S. d. § 337 Abs. 1 StPO. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kammer von einer genügenden Entschuldigung des Angeklagten ausgegangen wäre, wenn sie diesen Rechtsbegriff zutreffend ausgelegt hätte und ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen wäre.

Aufgrund des genannten Rechtsfehlers unterlag das angefochtene Urteil gemäß § 353 Abs. 1 StPO der Aufhebung; zugleich war die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Kosten der Revision war dem Landgericht vorzubehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht abzusehen ist.

Haase Tröndle Winter-Zschachlitz

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

bitte mal formatieren oder als .pfd-datei verlinken! so wie jetzt, mit all den umbrüchen inmitten der zeile, ist der text unlesbar.

Anonym hat gesagt…

na da sieht man es mal wieder...wenn sie wollen können sie selbst bei nicht korrekt ausgeführter Revisionsrüge das Urteil aufheben...Juristen können halt alles begründen wenn sie wollen

ben hat gesagt…

Aber Hallo! Mit erhobener Sachrüge einen Verfahrensfehler zum Auffliegen gebracht. ;-) Sieht so aus, als hätte man beim OLG in der Tat einen richtig dicken Hals gehabt.

Werner Siebers hat gesagt…

Ich habe die Rüge der Verletzung formellen Rechts ausgeführt, sie lediglich nicht ausdrücklich als solche bezeichnet, was ich im Übrigen nie tue.

In der Regel formuloiere ich:

Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts. Soweit diese nachstehend unabhängig von Rügen der Verletzung formellen Rechts vereinzelt wird, soll sie damit nicht beschränkt werden, sie gilt als umfassend erhoben.

 

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