Ein unglaubliches Schauspiel in dieser Richtung spielte sich offenbar gerade in Augsburg ab:
Leidtragender war der Psychiater Pantelis Adorf aus Würzburg, Leitender Medizinaldirektor in der dortigen Justizvollzugsanstalt und vom Landgericht Augsburg als Sachverständiger bestellt zu der Frage, ob Michael W., der Mörder der zwölfjährigen Vanessa, der seine Haftstrafe vollständig verbüßt hat, entlassen werden kann oder weiter in Sicherungsverwahrung bleiben muss.Am Faschingsdienstag 2002 tötete Michael W. die in ihrem Kinderzimmer schlafende Vanessa mit mehreren Messerstichen, dabei trug er eine Totenkopf-Maske. Das Gericht verurteilte den 19-Jährigen daraufhin zu zehn Jahren Jugendstrafe. Die Zeit im Gefängnis hat Michael W. abgesessen. Wie es mit ihm weitergeht, darüber wird nun am Landgericht Augsburg verhandelt.
Für nach Jugendrecht Verurteilte darf die Sicherungsverwahrung nur dann verhängt werden, wenn von dem Gefangenen eine "hochgradige Gefahr" für schwerste Gewalt- und Sexualstraftaten ausgeht und er unter einer psychischen Störung leidet. Deswegen werden vor Gericht mehrere Meinungen von Gutachtern eingeholt. Eine Entscheidung soll in der kommenden Woche fallen.Der Psychiater Adorf hatte dazu ein 25 Seiten dünnes Gutachten vorgelegt, das so offensichtlich unzureichend war, dass er von Staatsanwalt Hans-Peter Dischinger dringend zu einer Nachbesserung aufgefordert wurde. Diese Nachbesserung - acht Seiten stark - lag dem Gericht nun vor, und W.s Verteidiger Adam Ahmed und Eva Gareis unterzogen den Sachverständigen Adorf einer peinlichen Befragung - ein Protokoll in Auszügen:
Rechtsanwältin Gareis: "In Ihrer Ergänzung zitieren Sie über eineinhalb Seiten aus einer nicht näher bezeichneten Arbeit von Herrn Nedopil. . ." (ein sehr bekannter Münchner Gerichtspsychiater, Anm. d. Red.)Quelle: sueddeutsche
Adorf: "Wo? Was? Das hab ich nur einfach so übernommen, ohne das weiter vertiefen zu wollen."
Gareis: "Das hat also keine Relevanz?"
Adorf: "Nicht unbedingt, nein."
Gareis: "Auf weiteren zwei Seiten zitieren Sie den Psychiater Frank Urbaniok."
Adorf: "Das hab' ich auch einfach so übernommen."
Gareis: "Also kann man sagen, dass Ihr Ergänzungsgutachten eigentlich nur vier Seiten hat?"
Adorf: "Ja, das kann man ohne Weiteres sagen."
Gareis: "In dem Text des Herrn Urbaniok ist die Rede von ein- bis dreijährigen follow-ups. Was sind denn follow-ups?"
Adorf: "Keine Ahnung. Das hab ich einfach so übernommen."
Rechtsanwalt Ahmed: "Warum übernehmen Sie etwas, das keine Relevanz hat?"
Adorf: "Das ist meine Entscheidung. Das wollte ich einfach so."
Ahmed: "Aber das muss doch einen Grund haben?"
Adorf: "Nicht unbedingt. Das sind so Gedanken von einem Kollegen, da kann man drüber nachdenken."
Ahmed: "Ihr Auftrag lautete, Sie sollten sich äußern zu der Frage, ob bei Herrn W. eine psychische Störung im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) vorliegt. Was sind denn nach Ihrer Ansicht die Kriterien für eine psychische Störung im Sinne des ThUG?"
Adorf: "Das kann ich im Augenblick nicht beantworten."
Auch der Sachverständige Helmut Kury, der dem Gericht ein 300 Seiten starkes Gutachten vorgelegt hatte, stellte einige Fragen an seinen Gutachterkollegen aus Würzburg:
Kury: "Warum haben Sie denn ein Screening für Sexualtäter benutzt, obwohl es im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte für eine sexuelle Motivation gibt?"
Adorf: "Das kann natürlich sein, dass sich da einige Fehler eingeschlichen haben. Da gibt es vielleicht noch mehrere Punkte."
Kury: "Sie haben unter anderem den HCR 20 (ein psychologisches Testverfahren zur Risikoeinschätzung bei Gewaltdelikten) verwendet. Haben Sie denn das Handbuch zum HCR 20 gelesen?"
Adorf: "Nein. Ich bin ja auch kein Testpsychologe."
Kury: "Sie machen Voraussagen aufgrund eines Verfahrens, von dem Sie keine Ahnung haben? Wenn ich Ihr Gutachten veröffentliche, geht ein Aufschrei durch die Fachwelt."
Adorf: "Damit kann ich leben. Ich habe ja selber eingeräumt, dass es Defizite gab, wie es die ja auch geben musste."
Der Vorsitzende Richter Lenart Hoesch sah aus, als müsse er sich größte Mühe geben, um seine Contenance zu bewahren. Verteidiger Adam Ahmed stellte den Antrag, den Sachverständigen Adorf unverzüglich von seinen Aufgaben zu entbinden. Nach kurzer Pause verkündete der Vorsitzende, über den Antrag könne an diesem Tag nicht mehr entschieden werden, es bestehe noch erheblicher Beratungsbedarf. Die Verhandlung vor dem Landgericht Augsburg wird am Montag fortgesetzt.
DEIN RECHT IST MEIN JOB
STRAFJURIST, bundesweite Strafverteidigung
4 Kommentare:
Sollte es so gewesen sein, gehört der Sachverständige geschasst.
Ich habe aber so meine Zweifel, ob Herr Holzhaider von der Süddeutschen Zeitung tatsächlich den Dialog so mitbekommen hat.Üblicherweise hält er sich sehr sporadisch bei Verhandlungen auf, um dann umso vehementer Verfahrensbeteiligte unter voller Namensnennung zu "schlachten". Zuletzt behauptete er in diversen Artikeln unter dem Motto "Ein Mord, der keiner war", dass der Staatsanwalt quasi wissentlich einen offensichtlich Unschuldigen verfolge und dringend irgendwohin versetzt werden müsse, wo er keinen Schaden anrichten könne. Als dann aber das Urteil auch zum Ergebnis : Mord + Angeklagter auch der Täter kam, war der Bericht recht kleinlaut. Den Richtern jedenfalls warf er keine Rechtsbeugung und Verurteilung eines offensichtlich Unschuldigen mehr vor.
"als Sachverständiger bestellt zu der Frage, ob Michael W., der Mörder der zwölfjährigen Vanessa, der seine Haftstrafe vollständig verbüßt hat, entlassen werden kann oder weiter in Sicherungsverwahrung bleiben muss."
Diese Rechtsfrage wurde sicher nicht dem Sachverständigen gestellt.
Wobei ich nicht ausschließen möchte, dass es Richter gibt, die nicht ansatzweise wissen, was überhaupt Gegenstand eines Sachverständigenbeweises sein kann.
@Jens: Ihre berechtigte Kritik an der Formulierung belegt die Qualität des Gerichtsreporters, wie sie der erste anonyme Kommentator geschildert hat...
In Sachsen hat einer Dutzende Gerichtsgutachten geschrieben, obwohl der nur Postbote und Hochstapler war.
Er hat ein Muster eines Kollegen benutzt. Hinterher behaupteten die echten Psychiater, die Gutachten waren so schlecht, das es auffallen hätte müssen. Aufgefallen ist es aber nur, weil ihn jemand zufällig als Postboten von früher kannte.
Die Wahrheit ist aber, das der unerkannte Postbote gerne als Gutachter genommen wurde, weil die Gutachten seiner richtigen Psychiaterkollegen noch schlechter und weniger nachvollziehbar waren, als die seinigen.
Die Gerichte sollten sich mehr an Fakten und nicht an unsubstantiierten Meinungen von vermeintlichen Fachleuten orientieren.
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