Strafrichter -natürlich nicht alle!, von angeblichen Ausnahmen ist mir berichtet worden- sind recht bescheiden bei der kritischen Auseinandersetzung mit Entscheidungen nicht strafrechtlich ausgerichteter Behörden.
Entscheidungen von Finanzämtern in Steuerstrafsachen, von Ausländerbehörden in Ausländerstrafsachen, von Jugendämtern in Unterhaltsstrafsachen usw. werden unkritisch als richtig übernommen und zur Grundlage von Bestrafungen gemacht.
In Unterhaltsstrafsachen ( § 170 StGB ) wird dieses Verstecken hinter Fremdentscheidungen jetzt deutlich schwerer gemacht, und zwar vom Bundesverfassungsgericht!
In Unterhaltssachen hat das BVerfG nämlich jetzt entschieden:
In den Verfahren 1 BvR 1530/11 und 1 BvR 2867/11 haben die Gerichte zwar zutref- fend festgestellt, dass die Beschwerdeführer sich nicht ausreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht haben. Sie haben jedoch ebenfalls keine Feststellung dazu getroffen, auf welcher Grundlage sie zu der Auffassung gelangt sind, dass die Beschwerdeführer bei Einsatz ihrer vollen Arbeitskraft und bei Aufnahme einer ihren persönlichen Voraussetzungen entsprechenden Arbeit objektiv in der Lage wären, ein Einkommen in der zur Leistung des titulierten Unterhalts erforderlichen Höhe zu erzielen. Zu dieser Feststellung hätte es einer konkreten Prüfung unter Berücksichtigung der beruflichen Ausbildung der Beschwerdeführer, ihres Alters und ihrer krankheitsbedingten Einschränkungen sowie der tatsächlichen Gegebenheiten auf dem
Arbeitsmarkt bedurft. Ohne diese konkrete Prüfung hätten die Gerichte
nicht auf die volle Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführer in Höhe des
titulierten Kindesunterhalts schließen dürfen.
Dass Jugendämter und Familienrichter diese Rechtsprechung schnell umsetzen, denke ich nicht. Strafrichter werden sich jetzt aber die Mühe geben müssen, genau diese Punkte auch bei Altentscheidungen der Jugendämter und Familiengerichten zu überprüfen und gerade in strukturschwachen Regionen nachzuweisen, dass der jeweilige Angeklagte tatsächlich einen Job hätte finden können, der ihn in die Lage versetzt hätte, Unterhalt in geforderter Höhe zu zahlen.
Interessant auch, ob möglicherweise § 79 BVerfGG
Interessant auch, ob möglicherweise § 79 BVerfGG
Gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 für nichtig erklärten Norm oder auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig.
auch Gedanken an rechtskräftige Verurteilungen wachwerden lassen kann.
DEIN RECHT IST MEIN JOB
STRAFJURIST, bundesweite Strafverteidigung
2 Kommentare:
Das BVG hat doch kein Gesetz für ungültig erklärt, sondern nur die Rechtsanwendung für nicht verfassungskonform. Die Ungültigkeit einer Norm ist aber Voraussetzung für eine Wiederaufnahme.
Im übrigen ist die Entscheidung rechtlich nix neues, steht wohl in jedem Kommentar so.
Meiner Meinung reicht es auch nicht aus, wenn Verdienstmöglichkeiten vorhanden sind, der Täter muss auch diese gekannt oder mit ihnen gerechnet haben, da selbt grobfahrlässige Nichtkenntnis meines Erachtens bei dem 170 Stgb, der ein Vorsatzdelikt ist, nicht ausreicht.
Kann mich kj nur anschließen. Es geht nur darum, welchen Umfang die Feststellungen zur Leistungsfähigkeit haben müsssen. 79 BVerfGG spielt hier also keine Rolle.
Leider übersehen auch viele Verteidiger, dass 170 StGB ein Dauerdelikt ist, bei dem uU auch das Verschlechterungsverbot nicht gilt, falls bis zur letzten tatrichterlichen Entscheidung weiterhin trotz festgestellter Leistungsfähigkeit nicht geleistet wird.
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