Eine Meldung, die sicher viele Vorverurteiler und Rübe-Ab-Schreier überhaupt nicht interessiert, aber möglicherweise die Kausalitätsfrage in dem Verfahren um die S-Bahn-Schläger in München ganz anders in den Vordergrund stellen könnte, als bisher angenommen.
Dass die Staatsanwaltschaft diesen Umstand in der Anklageschrift nicht einmal erwähnt haben soll, würde die Lächerlichkeit der Bezeichnung "Objektivste Behörde der Welt" wieder einmal deutlich unterstreichen.
Der bei einer Schlägerei auf dem S-Bahnsteig in München-Solln ums Leben gekommene Geschäftsmann Dominik Brunner starb offenbar an Herzversagen und nicht an den Folgen der Tritte und Fausthiebe, die ihm zwei des Mordes angeklagte junge Männer versetzt hatten.
Dies habe die Staatsanwaltschaft München bestätigt, berichteten der "Münchner Merkur" und "Der Spiegel" übereinstimmend am Samstag. Der 50-jährige Brunner habe an einem Herzfehler gelitten. In der Anklageschrift sei davon nicht die Rede. Dort habe die Staatsanwaltschaft nur vage formuliert, Brunner sei "an den Folgen des Angriffs der Angeschuldigten" gestorben.
Quelle: reuters
DEIN RECHT IST MEIN JOB
STRAFJURIST, bundesweite Strafverteidigung
26 Kommentare:
Und was genau ändert das nun an der Situation? Ist der Herr nun selber schuld daran, dass sein vorbelastetes Herz bei einem Körperverletzungsdelikt schlapp macht?
Warum sollte dieser Artikel die erwähnte Personengruppe (sofern existent) nicht interessieren?
@Anonym: Bei dem Vowurf eines Tötungsdeliktes kommt es natürlich mit entscheidend darauf an, ob für den Täter einer Körperverletzungshandlung vorhersehbar ist, dass sein Tun den Tod des Opfers verursachen kann. Eine generelle Voraussehbarkeit theoretisch möglicher Kausalverläufe reicht gerade nicht aus.
Und Ihre zweite Frage ist keine Antwort wert.
Die beiden Angeklagten sind nach Aktenlage dringend tatverdächtig, den Herrn Brunner in erheblichem Maße geschlagen und getreten zu haben, wobei tötliche Verletzungen für die Angeklagten abzusehen waren. Das Opfer erlitt erhebliche Körperverletzungen und einen Herzstillstand. Das Opfer starb am Herzstillstand.
1. Die Verletzungshandlungen sind kausal i.S.d. conditio-sine-qua-non-Formel, denn man kann sie nicht wegdenken ohne dass der konkrete Erfolg, Herzstillstand und Tod, wegfiele.
2. Der konkrete Erfolg ist auch objektiv zurechenbar. Die objektive Zurechenbarkeit ergibt sich daraus, dass der Erfolg logische Auswirkung der Handlungen ist. Es liegt im Bereich der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeit, dass ein Opfer ein schwaches Herz hat und im Falle einer erheblichen und massiven körperlichen Misshandlung an einem Herzversagen stirbt. Ein unvorhersehbarer, atypischer Verlauf nach dem der Erfolg hier nicht mehr den Tätern als ihr Werk zugerechnet werden kann ist nicht gegeben.
3. Die Täter handelten auch vorsätzlich. Aus den massiven körperlichen Misshandlungen durch die Angeklagten lässt sich für das Gericht ohne Zweifel der Rückschluss ziehen, dass die Angeklagten im Moment der Tat den Tod des Opfers jedenfalls billigend in Kauf nahmen. Dem steht die Hemmschwellentheorie, nach der grundsätzlich davon auszugehen ist, dass aus der Gefährlichkeit eines Tuns nicht zwangsläufig auf einen Tötungsvorsatz geschlossen werden kann, nicht entgegen. Die Täter traten nämlich noch als das Opfer bereits auf dem Boden lag auf dieses ein. Insbesondere wurde mehrfach in besonders harter Weise in den Bauchbereich des Opfers getreten, weshalb die Täter bereits im Zeitpunkt der Verletzungshandlungen erkannt haben mussten, dass ihre Handlungen über die bereits eingetretene Körpervereletzungen hinaus eine Todesfolge hervorrufen konnten. Auch wenn sie diese Folge möglicherweise nicht beabsichtigen, so fanden sie sich jedenfalls mit dieser Konsequenz ab.
4. Es liegt auch kein Irrtum über den Kausalverlauf vor. Ausreichend ist, dass die Täter den Todeseintritt auf Grund ihrer Taten für möglich hielten und sich mit dieser möglichen Konsequenz abfanden. Der Vorsatz muss hingegen nicht in der Art bestimmt sein, dass sich die Täter der konkret eingetretene Todesfolge - nämlich Tod durch Herzversagen - vorab bewusst waren. Ausreichend ist, dass die Täter in ihren Vorsatz aufgenommen hatten, dass ihre Handlungen den Tod herbeiführen könnten. Etwas anderes ergäbe sich nur bei einem atypischen Kausalverlauf.
Ich bin beeindruckt.
OK, nun sind wir u.U. bei KV mit Todesfolge. Mich überrascht diese Entwicklung nicht, da, nachdem die Staatsanwaltschaft München kaum eine mediale Äußerung zum Fall auslies, deren Leiter Lafleur die Anklage nicht höchstpersönlich übernimmt, sondern lediglich eine Mitarbeiterin ins Rennen schickt, welche man zwar in diesem speziellen Fall, jedoch keineswegs im Allgemeinen als seine rechte Hand bezeichnen kann.
@ anonym 4:30
Dass hier nur KV mit Todesfolge in Betracht kommen soll, halte ich für zweifelhaft. Dass würde voraussetzen, dass man den Tätern lediglich ein bewusst fahrlässiges Handeln nachweisen könnte. Da die Täter hier aber auf das Opfer eintraten, als es schon auf dem Boden lag und wehrlos war, halte ich das für eher unwahrscheinlich. Bewusste Fahrlässigkeit ist i.d.R. dann anzunehmen, wenn der Täter sich nicht sicher ist, ob eine theoretisch lebensgefährliche Handlung das potentielle Opfer überhaupt treffen wird (z.B. wenn der Täter darauf hofft, dass Warnschüsse auch tatsächlich daneben gehen).
Ich glaube auch nicht, dass man daraus, dass Lafleur nicht selbst die Anklage führt, Rückschöüsse ziehen kann. Soweit ich weiß, ist Lafleur ohnehin nur StA und nich OStA.
Letztlich ist auch völlig unerheblich, ob das Opfer zuerst geschlagen hat. Für die Täter lag spätestens als das Opfer auf dem Boden lag keine Notwehrsituation mehr vor. Ein Notwehrexzess ist ebenfalls auszuschließen, da die Angeklagten offensichtlich in Kampfeseifer und nicht aus Angst gehandelt haben.
Nach momentanem Kenntnisstand stellt sich für mich daher bloß die Frage, ob Mord oder Totschlag.
Wieso wird bei Fusstritten nicht generell versuchter Mord angeklagt. Wieso ist nicht jede Trunkenheitsfahrt ein versuchter Mord? Ist doch geeignet andere zu töten, auch wenn Sufffahrer sich das konkret nicht vorstellen will.
Ausserdem soll das Opfer als erstes zugeschlagen haben.
Warum sind die Täter dort ausgestiegen ?
Wohnen die da oder wollten sie die Kinder ausrauben ?
Herzversagen infolge der Tritte und Fausthiebe?
#k.
Das lange Posting #3 gibt so ungefähr das Wissen jedes deutschen Jurastudenten ab dem 2. Semester wieder - nichts Besonderes also, aber überaus peinlich, dass ein deutscher Strafverteidiger gleichwohl erst einmal bloggt, "die Kausalitätsfrage" stelle sich irgendwie ganz neu, wenn B. an Herzversagen gestorben sei.
Ich bin beeindruckt.
Für alle Geros: Wenn die Schläge und/oder Tritte nicht ursächlich für den Tod waren bzw. die Ursächlichkeit nicht nachgewiesen werden kann, stellt sich in diesem Verfahren natürlich die Kausalitätsfrage neu.
Ich bin beeindruckt.
Also ich muss Gero insofern beipflichten, als dass auch ich nicht nachvollziehen kann warum Herr Siebers hier ein Problem der Kausalität zu sehen scheint. Das würde ja bedeuten, Herr Siebers erachte tatsächlich ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen von körperlicher Misshandlung und Herzstillstand für möglich. Befremdlich! Nein, der Hund liegt doch in diesem Fall bei der wichtigen Frage des spezifischen Gefahrzusammenhangs begraben. Und nach der hier relevanten Meinung des BGH kommt es dann alleine auf die Art und Schwere der ausgeführten KörperverletzungHANDLUNG an, und nicht etwa auf die tatsächlich herbeigeführten Verletzungen.
Natürlich ist das zufällige Zusammentreffen möglich; gerade in dem Alter kann es bei den mitgeteilten Vorerkrankungen, wenn die Informationen darüber richtig sind, schon durch eine große Aufregung ohne weitere Gewalteinwirkung von außen zum Herztod kommen.
Mal umgekehrt gefragt:
Wie gross wäre die Möglichkeit gewesen, dass Brunner ohne die zwei Gewalttäter just zu der Zeit an Herzversagen gestorben wäre?
#k.
So einfach ist es leider nicht. Die Situation als solche, die Konfrontation, die Provokationen auf der einen Seite und das angeblich kranheitsbedingt extrem vergrößerte Herz müssen als Summe beurteilt werden. Wenn diese Aufregung und die Kranheit zusammen schon mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zum Tode hätten führen können, wäre eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes nicht mehr so einfach, wie sich einige offenbar vorstellen oder wünschen.
Mich "erstaunt" mit studentischem Wissen eher, dass man an der Universität immer noch beim Tötungsvorsatz sehr vorsichtig sein sollte und auch bei groben Gewaltanwendungen nicht unbedingt davon ausgehen sollte, während man in der Praxis anscheinend bei allem was tatsächlich zu einer Leiche geführt hat - unabhängig von Todesart - erstmal pauschal den Todesvorsatz unterstellt.
Wenn das kein typischer Fall der KV mit Todesfolge ist, dann stellt sich die Frage, welchen Anwendungsbereich die Strafvorschrift überhaupt noch hat. Die Gretchenfrage ist nur, waren die Fusstritte konkret so heftig, dass auch diese vorhersehbar allein zum Tode finden hätte führen können.
Ob Fußtritt oder Herzversagen wäre dann unwesentlicher Irrtum über den Kausalverlauf.
Müßte dem Täter bewiesen werden, allgemeines Blabla reicht da nicht.
Hier ist die Gerichtsmedizin gefragt. Nachweis liegt nicht wohl nicht vor.
Wenn jemand "an Herzversagen stirbt", auf dessen Kopf und Körper vorher 10 Minuten lang mit aller Gewalt eingeschlagen und eingetreten worden ist, dann ist - wie der Sachverständige aber zweifellos noch klarstellen wird - die Annahme einfach absurd, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Aber vielleicht tritt im Beruf des Strafverteidigers eine gewisse Gewöhnung an absurde Entlastungsbehauptungen ein ...
@ gero,
ist es nicht so, dass der angriff nur etwa eine minute gedauert haben soll?
wie bitte kommen sie auf zehn minuten?
r.m.
Wenn ein Polizist aus persönlichen Frust auf einen Demonstranten einschlägt und der stirbt an Herzversagen, dann würde das wahrscheinlich (berechtigterweise) nicht als versuchter Mord angeklagt. Obwohl die Kausalitätsfrage sich hier ähnlich stellt. Es geht auch nicht darum, sondern um die Frage des Vorsatzes. Zudem kommt es beim Vorsatz auch auf die persönlichen Horizont des Täters an. Und das Halbstarke an ein schwaches Herz ihrer Opfer in Betracht ziehen, bezweifele ich doch stark.
Das die Täter für die Tat eine empfindliche Strafe verdienen, steht da ausser Frage, aber nur für das was sie nach dem Gesetz getan haben und innerhalb des dafür vorgesehenen Strafrahmens.
@ kj
Sie verkennen, dass es gar nicht darauf ankommt, dass die Täter sich vorgestellt haben müssen, der Täter könnte in Folge der Tritte und Schläge ein Herzversagen erleiden und dann an diesem Herzversagen sterben.
Es reicht vielmehr aus, dass den Tätern bewusst war, dass das Opfer an der Tritten und Schlägen sterben kann und dass sie gleichwohl weiter gemacht haben. Zwar muss der Vorsatz sich auf den ganzen objektiven Tatbestand beziehen, aber der Täter braucht um vorsätzlich zu handeln nicht jeden vorstellbaren, noch als obj. zurechenbar zu wertenden Kausalverlauf gedanklich berücksichtigt zu haben.
Siehe Fischer, StGB, 56. Aufl., § 16 Rn. 8: "Die Zurechnung als Vorsatztat ist nach Rspr und hM möglich, wenn trotz Abweichung eine Handlung den gewollten Erfolg in adäquater Weise erreicht".
Na dann weisen Sie mal den beiden den Tod des Opfers als von ihnen "gewollten Erfolg" nach. Da die Angeklagten eine Tötungsabsicht von Anfang an abgestritten haben kann das Gericht zur Feststellung eines (Eventual-) Vorsatzes lediglich auf die objektiven Tatumstände abstellen, also die Art, Dauer und Schwere der Schläge. Da die (wohl) vom Opfer angezettelte Schlägerei (wie man den Vorgang nach den neuesten Zeugenaussagen wohl bezeichnen muss) "lediglich" 60 Sekunden dauerte und es durch die ausgeteilten Schläge zu keinerlei Knochenbrüchen oder Organverletzungen gekommen ist ("zu Tode prügeln" sieht anders aus),habe ich so meine Zweifel ob dies für den Nachweis eines Tötungsvorsatzes ausreicht.
Um auch mal etwas zur Vorsatzfrage beizutragen: Zum "billigend" in Kauf nehmen gehört, wie der Ausdruck schon sagt, ein "Billigen", also ein aktives Hinnehmen und gerade nicht nur ein "Geschehenlassen".
Ich reite immer wieder gern darauf herum:
Das Zitat von der ‘objektivsten Behörde der Welt’ wird oft aus dem Zusammenhang gerissen und ist vollständig tatsächlich genau gegensätzlich gemeint:
„[...] die Parteistellung der Staatsanwaltschaft ist durch unsere Prozeßordnung besonders verdunkelt worden. Durch die Aufstellung des Legalitätsprinzips, durch die dem Staatsanwalt auferlegte Verpflichtung in gleicher Weise Entlastungs- wie Belastungsmomente zu prüfen, könnte ein bloßer Civiljurist [...] zu der Annahme verleitet werden, als wäre die Staatsanwaltschaft nicht Partei, sondern die objektivste Behörde der Welt.“ (Franz von Liszt)
Insofern stößt auch von Liszt ins selbe Horn...
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