Einen Automatismus, wonach bei Einholung eines Gutachtens immer oder nahezu immer ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben wäre, vermag die Kammer weder der einschlägigen Rechtssprechung zu entnehmen noch hielte sie dies für sachgerecht.
Der Sachverständige ist wie der Zeuge ein persönliches Beweismittel . Er ist „Gehilfe des Richters“ (BGHSt 3, 27, 28; 7, 238, 239; 9, 292, 293; 13, 1, 4; BGH 2 StR 624/79) insoweit, als diesem die zur Entscheidung erforderliche Sachkunde auf einem Wissensgebiet fehlt.
Das bedeutet, der Strafrichter holt immer aber auch nur dann ein Sachverständigengeutachten ein, wenn ihm selbst bezüglich der zu beantwortenden Frage die eigene Sachkunde fehlt! Wenn nun aber schon dem Richter selbst die Sachkunde zur Beantwortung einer verfahrensrelevanten Frage fehlt, dann darf sich jeder Angeklagte natürlich fragen, woher er, der Angeklagte, denn dann die Sachkunde haben soll oder ob nicht genau wegen des Mangels der Sachkunde eindeutig ein Fall einer "schwierigen Sachlage" im Sinne von § 140 II StPO und damit ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt.
Die Vorschriften der StPO über die notwendige Mitwirkung und die Bestellung eines Verteidigers im Strafverfahren stellen sich als Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung dar. Wiederholt hat daher das BVerfG betont, daß das Recht auf ein faires Verfahren zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens, insbesondere des Strafverfahrens mit seinen möglichen einschneidenden Auswirkungen für den Beschuldigten zählt. Der Beschuldigte darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muß vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluß zu nehmen (vgl. BVerfG NJW 1978, 151 m.w.N.).
Insoweit liegt es aus meiner Sicht (die sicher zum Aufheulen zumindest der Bezirksrevisoren führt) auf der Hand, dass dann, wenn ein Strafgericht meint, dass ein Sachverständigengutachten zu welcher Frage auch immer eingeholt werden muss, auch ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt.
DEIN RECHT IST MEIN JOB
STRAFJURIST, bundesweite Strafverteidigung
16 Kommentare:
Schöne Nebelkerze. Allein die mangelnde Sachkunde des Richters als Begründung dafür heranzuziehen, dass deshalb ein Sachverhalt besonders schwierig zu beurteilen ist, dürfte bei vielen Fachleuten doch eher eine Irritation hervorrufen.
Ok, wenn die irritierten Fachleute alle davon ausgehen, dass Richter auch bei nicht schwierigen Sachverhalten keine Sachkunde haben, werde ich mich zukünftig auf diese These berufen.
Hinreißender Gedanke von Anonym. Richter hat keinen blassen Schimmer von banalem Problem, braucht deshalb einen Sachverständigen, hält aber den Angeklagten für schlauer als sich selbst. Spitze!
Das ist doch alltäglich. Was vielleicht für einen Bäcker, Gärtner, Maurer, Arzt oder anderen Handwerker völlig banal ist, kann für einen Richter einen Gutachter erforderlich machen. Hier einen Automatismus zur notwendigen Pflichtverteidigung herzuleiten ist imho nicht angebracht. Vermutlich trifft diese Konstellation nicht auf den vorliegenden Fall zu, aber im vorliegenden Fall müsste jedenfalls ein Automatismus greifen... ;-)
Der Vergleich hinkt meines Erachtens. Denn der Verteidiger hat ja nicht zwingend die Sachkenntnis, die dem Richter fehlt. Nur weil ein Sachverständiger eingeschaltet wird, liegt wohl nicht zwingend eine schwierige Sachlage vor, sondern lediglich eine, von der der Richter nicht genügend Ahnung hat. Den behaupteten Automatismus würde ich daher auch eher nicht annehmen. Ansonsten wäre ja jede Trunkenheitsfahrt ein Fall der notwendigen Verteidigung, weil die BAK mithilfe eines Sachverständigen bestimmt werden muss.
@BV Es bleibt doch dabei, dass, wenn der Richter mangels eigener Sachkenntnis einen Sachverständigen braucht, er nicht verlangen kann, dass der Angeklagte mehr weiß, als er selbst.
Also muss er davon ausgehen, dass auch der Angeklagte dem interessierenden Problem hilflos gegenübersteht.
Also liegt für beide eine schwierige Sachlage vor, die beide nicht ohne fremde Hilfe aus der Welt bekommen. Und genau das ist der Fall des § 140 II.
Es ist schon erschreckend, dass hier die Meinung vetreten wird, dass kein Fall einer notwendigen Verteidigung vorliegt, obwohl der Richter durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens dokumentiert, dass nicht einmal ER sachkundig ist.
Nicht umsonst schreibt z.B. Löwe-Rosenberg: "Beim Sachverständigengutachten wird FAST IMMER die Mitwirkung eines Verteidigers für erforderlich gehalten! (Rdn. 84 zu § 140)
Ich kann die grundsätzliche Ablehnung des Automatismus "Sachverständiger->Notwendige Verteidigung" verstehen. Ein Sachverständiger wird ja nicht hinzugezogen, weil er sich in der Sache im juristischen Sinne versteht, sondern weil er Experte auf einem beweisrelevanten Gebiet ist. Es gibt sehr einfache Sachverhalte, deren Spuren jedoch nur von Sachverständigen nachgewiesen werden können.
@werner siebers: "[...], dass nicht einmal ER sachkundig ist." Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass Sie einen Menschen allein aufgrund seiner Verbeamtung zum Richter tatsächlich als omnipotentes Wesen ohne Fehl und Tadel ansehen? DAS wäre in der Tat erschreckend. Kommentierungen ersetzen kein Gesetz, Ausnahmen mögen Regeln bestätigen, aber nicht ersetzen. Und ein Fall der notwendigen Verteidigung ist eine Ausnahme. Womit die Kommentierungen die Formulierung "fast immer" begründen, erschließt sich ebenfalls nicht. Ist das ein gefühltes "fast immer"? (Anonym I, III)
Richter: "Hab ich keine Ahnung von, brauch ich einen Sachverständigen."
Angeklagter. "Hab ich auch keine Ahnung von, brauch ich einen Pflichtverteidiger, der sich für mich mit dem Gutachten auseinandersetzt".
Richter: "Gibts nicht, das weiß doch jeder, nur ich halt nicht, stellen Sie sich nicht so an!"
Der fiktive Dialog macht m.E. das Missverständnis schön deutlich. Der Richter sagt doch gar nicht, dass das jeder wisse, nur er nicht. Ich meine, dass agent.c mit seinem Kommentar die richtige Richtung weist: Nur weil ein Sachverständiger erforderlich ist, ist die Sache nicht per se besonders schwierig. Aber es gibt eben Spuren und andere besondere Umstände, die das Gericht nicht aus eigener Sachkenntnis auswerten kann. Wenn dieses Thema dann jedoch in einem wissenschaftlich unproblematischen und unstrittigen Bereich liegt und das Sachverständigengutachten zu einem eindeutigen Ergebnis kommt, sehe ich erstmal keinen Grund für eine notwendige Verteidigung. Zumal der Verteidiger ja von Berufs wegen auch nicht schlauer ist, als der Richter. Eigentlich müsste dem Beschuldigten ein eigener Sachverständiger beigeordnet werden ;-)
Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt sicherlich auch sehr viele Bereiche, in denen Sachverständigengutachten nicht so eindeutig ausfallen und schon thematisch problematisch sind. Dann soll der Beschuldigte gerne seinen Pflichtverteidiger haben.
@BV: Jetzt erreichen wir in der Diskussion einen Level der Sachlichkeit, der angenehm ist!
Mir geht es nicht um das Sachproblem, das der Sachverständige lösen muss, weil der Richter keine Sachkunde hat.
Es geht darum, dass, wenn die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus welchem Grunde auch immer notwendig wird, eine Prüfung ansteht, mit der jeder Angeklagte überfordert ist, nämlich, die Hinterfragung der Sachkunde des Gutachters und die Analyse, ob der Sachverständige in zulässiger Form von den richtigen Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist.
Und genau das ist der Punkt, an dem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts greift, Stichwort: faires Verfahren!
Ob dann der Verteidiger sein Handwerk versteht, die Sachkunde des Sachverständigen und die Richtigkeit des Zustandekommens zu hinterfragen, ist ein -zugegeben existierendes aber anderes- Problem.
Luxuxproblem ...
-> http://lawprofessors.typepad.com/china_law_prof_blog/2010/03/the-closing-of-the-stern-hu-trial-a-legal-analysis.html
Ich glaube, da kommen wir nicht zusammen - ist aber ja auch nicht tragisch. Wenn es nur um die Hinterfragung des Sachverstandes des Gutachters und die Analyse der Richtigkeit der Anknüpfungspunkte geht, trauen sie ihrer Mandantschaft idR wohl nicht viel zu. Klar kann es zu einer notwendigen Verteidigung kommen, aber einen Automatismus sehe ich immer noch nicht. Letztlich geht es doch wohl um die Frage, über was ein Gutachten eingeholt wird.
Ich fand es als Strafrichter immer unsportlich in solchen Fällen einen Pflichtverteidiger zu verweigern und habe immer die vom Angeklagten erwünschten oder die Verteidiger bestellt, die gut waren, wenn schon FC Barcelona und nicht Kleinkleckersdorf als Gegner der Staatsanwaltschaft. Mir hat es oft gereicht wenn der Anwalt eine konkrete erfolgversprechende Verteidigungslinie aufzeigte.
Nach einem Jahr wurde ich auf Betreiben der Staatsanwaltschaft abgesetzt.
Wir haben im Bezirk an verschiedenen Amtsgerichten Strafrichter, die den Spaß an ihrem Job verloren haben, weil bestimmte Staatsanwälte einfach nicht zum Aushalten sind.
Erzählen sie leider nur hinter vorgehaltener Hand und trauen sich nicht, das Problem mal dort anzusprechen, wo es geändert werden könnte.
Vermutlich, weil sie ahnen, dass sie dann, wie Anonym, weggemobbt werden.
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