Nach allgemeiner Ansicht ist die Beauftragung eines Wahlverteidigers formlos möglich. Für den Nachweis der Beauftragung genügt regelmäßig die Anzeige des Verteidigers. Die Vorlage einer Vollmachtsurkunde soll nur verlangt werden können, wenn Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen (BVerfG, Beschl. vom 14.09.2011, 2 BvR 449/11; vgl. Wohlers, in: Systematischer Kommentar zur StPO, § 137 Rn. 8, 5 Februar 2004; Meyer-Goßner, StPO, jede Aufl., Vor § 137 Rn. 9).
Als Grundsatzentscheidung darf BGHSt 36, 259, 260 angesehen werden, darin heißt es:
Der gewählte Verteidiger erlangt seine Rechtsstellung mit dem Abschluß des Verteidigervertrags (Schnarr, NStZ 1986, 490; Dahs, Hdb. des Strafverteidigers, 5. Aufl., Rdnr. 87). Einer zusätzlichen schriftlichen Bevollmächtigung bedarf es nicht. Die „Verteidigervollmacht“ dient lediglich zum Nachweis, daß ein Verteidigervertrag besteht (Schnarr, NStZ 1986, 493; Weiß, NJW 1983, 89 (90)).Abgesehen von den hier nicht interessierenden Fällen der Vertretungsvollmacht nach §§ 234 , 329 , 350 , 387 , 411 StPO verlangt das Gesetz beim gewählten Verteidiger lediglich für die gesetzliche Zustellungsermächtigung (§ 145a I StPO), daß die „Vollmacht sich bei den Akten befindet". Dies dient dem Schutz des Angekl. Sonst schreibt es eine Form für den Nachweis des Verteidigervertrags nicht vor und macht die Ausübung der Rechte des Verteidigers von der Vorlage einer Vollmacht nicht abhängig. So kann der Verteidiger insbesondere Rechtsmittel einlegen oder - mit ausdrücklicher Ermächtigung - zurücknehmen, ohne daß es gleichzeitig des Nachweises einer Vollmacht bedürfte (Kleinknecht-Meyer, § 297 Rdnr. 2 und § 302 Rdnr. 33; Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, § 297 Rdnr. 5 und § 302 Rdnr. 69; Ruß, in: KK, 2. Aufl., § 297 Rdnr. 1). Es genügt stets, daß der Verteidiger tatsächlich beauftragt war, als er die jeweiligen Erklärungen abgab (Lüderssen, in: Löwe-Rosenberg, § 138 Rdnr. 13).
Das bedeutet, dass bei allen dem Verteidiger eingeräumten Rechten selbige nicht von der Vorlage einer schriftlichen Vollmacht abhängig gemacht werden dürfen, es sei denn, das Gesetz schreibt in besonderen Fällen ausdrücklich die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht vor. So beispielsweise ist nach § 147 I StPO der Verteidiger befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen. Da das Gesetz in diesem Zusammenhang die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nicht verlangt, ist die Akteneinsicht zwingend auch ohne schriftliche Vollmacht zu gewähren (Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Auflage 2008, § 147 Rdn. 3; Pfeiffer StPO, 5. Auflage 2005, § 147 Rdn. 2).
Der verantwortungsbewusste Verteidiger darf keine schriftliche Vollmacht zur Akte reichen, da das sowohl seinem Mandanten als auch ihm nur Nachteile bringt. So beispielsweise kann der Angeklagte, dessen Verteidiger eine schriftliche Zustellungsvollmacht, die auch für Ladungen gilt, zur Akte gereicht hat, über diesen Verteidiger zur Hauptverhandlung geladen werden. Ist er zwischenzeitlich verzogen und erreicht ihn sein Verteidiger nicht, kann Haftbefehl nach § 230 StPO gegen ihn ergehen, obwohl er gar nichts von der Hauptverhandlung wusste. Befindet sich keine schriftliche Vollmacht bei der Akte und erreicht ihn dann wegen seines Umzuges die Ladung des Gerichtes nicht, gilt die Ladung als nicht zugestellt und diese Folge kann nicht eintreten.
Es gibt also nicht nur keinen Zwang zur Vorlage einer schriftlichen Vollmacht, im Gegenteil, die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht ist kontraproduktiv, haftungsträchtig und spielt nur Staatsanwaltschaft und Gericht in die Karten.
Dazu kommt, dass es immer wieder zu Zustellungsfehlern kommt, wenn sich keine schriftliche Vollmacht bei den Akten befindet, diese Chance ist vertan, wenn eine schriftliche Vollmacht zur Akte gereicht wird. Ein Beispiel aus dem Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht: Das Amtsgericht Kiel hat mit seinem Beschluss vom 05.10.2005, 41 OWi 551 Js-OWi 14726/05 (29/05)- ein Bußgeldverfahren wegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung gemäß den §§ 46 I OWiG, 206 a I StPO mit folgender Begründung eingestellt:
Hier liegt das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung vor. Gemäß § 26 III StVG beträgt die Verfolgungsverjährung bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG drei Monate, solange wegen der Handlung noch kein Bußgeldbescheid ergangen ist, danach sechs Monate.
Tat zeit war hier der 25.10.2004. Der Betroffene ist aufgrund der nach § 33 Nr. 1 OWiG unterbrechenden Anhörungsverfügung vom 04.11.2004 angehört worden. Am 18.01.2005 erging der Bußgeldbescheid (und wurde allein dem Verteidiger Rechtsanwalt Siebers zugestellt). Da sich keine schriftliche Vollmacht des Verteidigers in den Akten befindet, ist die Zustellung an den Verteidiger nach § 51 III S. 1 OWiG unwirksam (vgl. Göhler, 12. Auflage, 51 a OWiG Rd. 44a). Damit trat die Verjährungsunterbrechung nach § 33 I Nr. 9 OWiG nicht ein, so dass die Ordnungswidrigkeit mittlerweile - sollte der Bußgeldbescheid jetzt wirksam zugestellt werden - verjährt ist.
Damit zeigt sich wieder einmal, dass es ein Kunstfehler von Verteidigern wäre, eine schriftliche Vollmacht zur Akte zu reichen, da dadurch wichtige Verteidigungschancen verbaut werden. Wenn es auch manche Richter und Staatsanwälte und einige obrigkeitshörige Rechtsanwälte nicht wahr haben wollen, aber die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht ist im Regelfall weder im Strafverfahren noch im Bußgeldverfahren vorgeschrieben (Meyer-Goßner StPO, jede Auflage vor § 137 Rdn. 9 oder z.B. hier ).
DEIN RECHT IST MEIN JOB
STRAFJURIST, bundesweite Strafverteidigung
4 Kommentare:
Endlich mal auf den Punkt zusammengefasst. Darf man das abschreiben/zitieren?
Ich glaube man darf.
Klar darf man, gerne mit Quellenangabe, muss aber nicht sein.
Tja, andererseits:
Wenn der Mandant keinen festen Wohnsitz hat und sowohl deshalb als auch weil der Verteidiger keine Ladungsvollmacht zur Akte gegeben hat, nicht geladen werden kann, gibt es vielleicht auch einen Haftbefehl wegen Flucht. Das kann für den Mandanten dann recht unschön werden, wenn er wegen der Prinzipientreue des Verteidigers erst einmal ein paar Tage oder Wochen auf Schub durch die Bundesrepublik geht.
Man sollte daher auch als Verteidiger vielleicht im Einzelfall etwas flexibel sein mit der Vollmachtsurkunde.
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