10 Januar 2006

Ohrfeige für richterlichen Spott

Gerne lese ich, dass der BGH (5 StR 278/05 ((LG Hamburg)) NStZ 2006, 49) richterlichem Spott die Grenzen aufgezeigt hat.

Bereits vor Beginn der Hauptverhandlung hatte der Verteidiger den Antrag gestellt, zur Frage der Schuldfähigkeit des Angekl. ein psychiatrisches und ein ergänzendes psychologisches Gutachten einzuholen. Diesen von der StA befürworteten Antrag lehnte der Vorsitzende unter Hinweis darauf ab, dass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich seien, das dem Angekl. zur Last gelegte Verhalten könne auf einem - psychiatrisch relevanten - psychopathologischen Ausnahmezustand beruhen. Während der Hauptverhandlung wiederholte der Verteidiger den Antrag und stellte darüber hinaus noch 5 weitere Anträge, die im Wesentlichen die für den Angekl. zentrale Frage seiner Schuldfähigkeit betrafen.

Der Vorsitzende ordnete die Unterbrechung der Hauptverhandlung für eine Stunde an, was den Verteidiger eines Mitangekl. zu der Äußerung veranlasste, dass die Dauer der Unterbrechung nicht ausreiche, um seine Kanzlei aufzusuchen. Daraufhin fragte der Vorsitzende: „Meinen Sie, dass wir die Anträge noch schneller ablehnen können?“ Daraufhin lehnte der Verteidiger des Angekl. in dessen Auftrag den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit seiner Äußerung zeige der abgelehnte Richter, dass er bereits vor der Beratung entschieden habe, dass den Anträgen nicht nachzugehen sein werde. Das Vertrauen des mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bedrohten Angekl. in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden sei auch deshalb zerstört, weil die Art und Weise der in Frage stehenden Bemerkung - spöttisch und überheblich - besorgen lasse, dass der abgelehnte Richter sich über die Schuldfähigkeit des Angekl. bereits vor Abschluss der Beweisaufnahme ein festes Bild gemacht habe.

Die StrK lehnte den Befangenheitsantrag - nach Einholung dienstlicher Erklärungen, welche die beanstandete Äußerung bestätigten - ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters ab. In den Gründen des zurückweisenden Beschlusses führte das LG aus, schon aus dem Umstand, dass der Vorsitzende eine Beratungsdauer von einer Stunde vorgesehen hätte, ergebe sich, dass er nicht bereits vor der Beratung entschlossen gewesen sei, die Anträge abzulehnen. Die Bemerkung sei auch nicht in einem spöttischen Tonfall geäußert worden, sondern sei eine spaßhafte Reaktion auf den amüsierten Gesichtsausdruck desjenigen Verteidigers gewesen, der die Dauer der Beratungspause angesprochen habe.

In der Begründung findet der BGH klare Worte:

Dass seine beanstandete Äußerung nur eine spaßhaft gemeinte Reaktion auf die mit amüsiertem Gesichtsausdruck vorgebrachte Bemerkung des Verteidigers eines Mitangekl. sein sollte, ist ohnehin schwer nachvollziehbar und konnte sich in der gegebenen Situation auch einem verständigen Angekl. nicht ohne weiteres erschließen. Dies gilt umso mehr, als der Bf. bei Ablehnung der fraglichen Beweisanträge mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen musste, die Behandlung der Anträge für ihn daher von besonderer Bedeutung war. In dieser Situation ist auch ein besonnener Angekl. nicht darauf gefasst, dass sein Beweisbegehren Gegenstand von Scherzen des Gerichts wird. Die Relevanz eines in diesem Sinne unbedachten Verhaltens eines Richters kann dieser freilich unter Umständen durch Klarstellung und Entschuldigung beseitigen, spätestens im Rahmen der dienstlichen Erklärung nach § 26 III StPO (vgl. dazu BGHR StPO § 388 Nr. 3 Revisibilität 1). Eine solche Chance hat der abgelehnte Vorsitzende hier nicht genutzt.

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