20 Mai 2007

BGH (4 StR 522/06) ändert Rechtsprechung zur Frage der Wichtigkeit eines Körperglieds im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Der vierte Strafsenat hatte sich mit der aus der Überschrift ergebenden Rechtsfrage zu beschaffen und hat seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben:

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 522/06
vom
15. März 2007

Der Senat hält mit der Literatur die Auslegung, die das Tatbestandsmerkmal der "Wichtigkeit" eines Körperglieds durch das Reichsgericht erfahren hat, für zu eng und nicht mehr zeitgemäß. Er ist der Auffassung, dass bei Beurteilung der Frage, ob ein Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB wichtig ist, auch individuelle Körpereigenschaften und dauerhafte körperliche (Vor-)Schädigungen des Verletzten zu berücksichtigen sind.

Einer solchen Auslegung des Tatbestandsmerkmals stehen weder der Wortlaut des Gesetzes noch tragende Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs entgegen. Soweit eigene Rechtsprechung des Senats (MDR bei Dallinger 1953, 597) entgegensteht, wird diese aufgegeben.

§ 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein konkretes Verletzungsdelikt, dessen Erfolg auch von der jeweiligen körperlichen Beschaffenheit des Tatopfers abhängt. So hat ein Finger der linken Hand naturgemäß für einen Linkshänder eine größere Bedeutung als für einen Rechtshänder. Für einen Menschen ohne Hände, etwa infolge einer körperlichen Behinderung, der gelernt hat, seine Ze-hen als Fingerersatz einzusetzen, sind diese Zehen für das Hantieren ebenso wichtig wie die Finger für einen nicht behinderten Menschen (vgl. Hardtung in MünchKomm StGB § 226 Rdn. 27). Solche dauerhaften körperlichen Besonderheiten eines Tatopfers bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Wichtigkeit eines Körperglieds entsprechend der vom Reichsgericht entwickelten Rechtsprechung gänzlich außer Acht zu lassen, widerspräche dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit.

Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall der Zeigefinger der rechten Hand des Tatopfers ein wichtiges Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB und zwar unabhängig davon, ob - was sich aus dem Urteil nicht zweifelsfrei ergibt - der Verletzte Rechts- oder Linkshänder ist. Es ist nämlich auf die Besonderheit Bedacht zu nehmen, dass dem Opfer durch die Tat auch dessen rechter Mittelfinger teilweise abgetrennt wurde, sich die Verletzung mithin besonders schwerwiegend für das Tatopfer ausgewirkt hat, weil die durch die Versteifung des Zeigefingers eingetretenen Funktionsverluste nicht einmal teilweise durch den Mittelfinger übernommen werden können.

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