09 November 2008

Richter auf der Anklagebank - seine Opfer bleiben anonym

Aufgrund eines berechtigten Hinweises, dass ein Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart leider noch nicht genügend Beachtung gefunden hat, sollte sich das Augenmerk in die Schwaben-Metropole richten:
700 Anfragen pro Jahr. Das war Amtsrichter Michael I. (Amtsgericht Nürtingen) zu viel. Deshalb ließ er Bewohner von Pflegeheimen an die Betten fesseln, ohne die Notwendigkeit solcher „Fixierungen“ nachzuprüfen. Jetzt steht er wegen Freiheitsberaubung vor Gericht (Landgericht Stuttgart). Und mit ihm ein unmenschliches System.
Quelle: tagesspiegel

Die lokale Presse schreibt mehr über den Fall, am 14.11.2008 soll wohl die Urteilsverkündung sein, der Antrag der Staatsanwaltschaft soll auf eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren gerichtet sein.

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das muss doch eine Ente sein. Seit Naumburg ist doch klar, dass Richter uneingeschränkte Immunität geniessen.

Anonym hat gesagt…

Keine Ente...

http://www.ntz.de/index.php?action=shownews&id=887869

Leider funzt gerade Click/Buy nicht...

Advokatenschräck

Anonym hat gesagt…

Da scheinen Ihre Ressentiments gegen den Richterstand ja selbst Ihr sonst gepflegtes Faible für die auch verbale Beachtung der Unschuldsvermutung zu überwiegen.

Anonym hat gesagt…

...und hier (mit Bild), frei verfügbar:

Der Mann heißt Irmler, das AG Nürtingen ist "betroffen" und im Spiegel war auch schon ein Artikel

http://www.badische-zeitung.de/nachrichten/deutschland/ein-fesselndes-verfahren--7211763.html

Werner Siebers hat gesagt…

@ gerd

Ja, sehr verehrter Herr Gerd, ich habe in der Tat heimlichen und hin und wieder offenen Groll gegen Richter, von denen Gefährdung, Bedrohung und Behinderung des Rechtsstaates zu befürchten sind. Es sind wenige, aber es gibt sie nun mal, auch wenn es Ihnen persönlich überhaupt nicht gefällt, dass ich das hin und wieder anspreche.

Ein Schelm, der dabei denkt, dass Sie möglicherweise einer dieser wenigen sein könnten und deshalb so angefasst reagieren.

Aber meine eigenen Erfahrungen wie hier oder hier lassen mich aussprechen, was Richter ungern hören.

Im letzten Fall blieb natürlich auch ein gewisser schaler Beigeschmack und im Fall in Nürtingen habe ich die leise Befürchtung, dass da schon wieder die Feststellung droht, dass wir in Deuschland nicht nur mit einem schuldunfähigen oder eingeschränkt schuldfähigen Richter zu tun haben.

Nochmals, das sind die Ausnahmen, aber die muss man auch ansprechen dürfen, und manche davon haben halt Schwein, siehe OLG Naumburg!

Ich hoffe nur, dass diese Ihren Kollegen (zumindest im Geiste) aus Naumburg das gute Recht des Schweigens eines Beschuldigten/Angeschuldigten/Angeklagten zukünftig tatsächlich als gutes Recht und nicht als Verweigerung bewerten.

Anonym hat gesagt…

..also:

Die §§ 20,21 StGB sind schon gutachterlich vor einigen Tagen ausgeschlossen worden...zwar sprach ein Kollege vom "richterlichen Autisten", doch dürfte das kaum Strafzumessungserwägung werden.

...wann man solchen Fällen anhört, kann eine Rechts- oder Ermessensfrage sein. DAS man anhört nicht. Und eine Anhörung zu protollieren, obwohl man sich dagegen entschieden hat, ist ein Verbrechen... wenn ich wegen Gefahr im Verzug "etwas weglasse" - z.B. einen Verfahrenspfleger - wird das auch dokumentiert.

Die Wetten unter den Kollegen gehen Richtung "ohne"...mehr als ein Jahr allemal.

Gruß
Advokatenschreck

Werner Siebers hat gesagt…

Ich will ja nicht unken, aber ich habe auch schon Gerichte erlebt, die sich gegen einen Gutachter entschieden haben. Find ich selten spannend, was dort geschehen wird.

Anonym hat gesagt…

...so jetzt aber:

Knapper(!) Auszug aus der Nürtinger Zeitung v. 06.11.08

Im Prozess gegen den Nürtinger Amtsrichter Michael Irmler, dem unter anderem Rechtsbeugung, Urkundenfälschung und Freiheitsberaubung vorgeworfen werden, hielten Staatsanwaltschaft und Verteidigung gestern ihre Plädoyers. Dabei sparte Staatsanwältin Susanne Dathe nicht an deutlichen Worten und attestierte Irmler kriminelle Energie.

Irmler wird vorgeworfen, freiheitsentziehende Maßnahmen bei Bewohnern von Pflegeheimen genehmigt haben, ohne die vorgeschriebene Anhörung vorzunehmen. Die Gesprächsprotokolle soll er gefälscht haben.

[...]
Richterin Helga Müller lehnte alle noch verbliebenen Beweisanträge von Irmlers Rechtsanwalt Dr. Dr. Ralf Hohmann ab. Damit konnten bereits am gestrigen Verhandlungstag die Plädoyers gehalten werden.

[...]
Staatsanwältin Dathe sah den Verdacht gegen Irmler nach der Beweisaufnahme voll bestätigt. Vor allem in den sieben Fällen, in denen Menschen zu dem Zeitpunkt, als Irmler sie angehört haben will, bereits tot waren, sieht sie es als erwiesen an, dass Irmler die Protokolle gefälscht hat, um einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf vorzutäuschen.

[...]

Irmler selbst räumt nur in drei Fällen ein, die Betroffenen nicht persönlich angehört zu haben, mit der Begründung, das seien lediglich Verlängerungsanträge gewesen.

[...]

Dathe sieht sieben Fälle von versuchter und 47 Fälle von vollendeter Rechtsbeugung. Dabei habe Irmler sich nicht durch Unterlassen strafbar gemacht, sondern vielmehr aktiv gehandelt, als er entschied, auf die Anhörung zu verzichten.

[...]

„Seine Aufgabe ist die letzte Kontrolle, er sollte das Korrektiv sein, das die Interessen aller Beteiligten abwägt“, so Dathe.

[...]
Irmlers Anwalt Hohmann plädierte hingegen auf Freispruch, holte weit aus und stellte Irmler als Opfer des Systems dar. Er sei nicht alleine: Eine anonyme Umfrage des Justizministeriums unter Richtern habe ergeben, dass nur in 60 Prozent der Betreuungsfälle überhaupt eine Anhörung stattfinde.

Als Irmler [...]den Hohenasperg [hiesiges JVKrankhaus) gebracht wurde, sei er so verzweifelt gewesen, dass er sagte: „Ich will hier raus und dafür unterschreibe ich alles.“ Als jemand, der im Rechtssystem quasi von ganz oben nach ganz unten gefallen war, habe er extrem unter Druck gestanden. Maximal Fehler habe der Richter gemacht, jedoch keinesfalls das Recht gebeugt. Er verglich Irmlers Aufgabe mit der eines Haftrichters. Sperre der jemanden unschuldig ein, gebe es für denjenigen Haftentschädigung, der Richter werde aber nicht belangt.

Hohmann kritisierte den Amtsgerichtsdirektor. Wenn er Fehler gesehen habe, hätte er sofort handeln und den Kollegen ansprechen müssen, und nicht, wie im vorliegenden Fall, anderthalb Jahre warten und ihm eine Falle stellen. „Hier stellt sich die Frage, was sonst noch alles am Nürtinger Amtsgericht schiefgelaufen ist.“

[...]

Würde man alle Richter wegen falscher Entscheidungen belangen, gäbe es viel zu tun, so Hohmann. Doch eine fahrlässige Rechtsbeugung gibt es nicht. Hohmannwies den Vorwurf, Irmler sei faul und nur an mehr Freizeit interessiert gewesen, zurück. Er räumte lediglich ein, dass Irmler einiges besser hätte machen können, und beantragte Freispruch in allen Fällen.

Irmler selbst hatte eine Erklärung vorbereitet, die Hohmanns Argumentation folgte. Lediglich Fehler habe er in der Haft eingeräumt und ansonsten seinen richterlichen Ermessensspielraum genutzt.

Er gestand ein, dass manche Akten schlampig geführt wurden, was aber nicht alleine an ihm, sondern auch an der Geschäftsstelle gelegen habe.

Der Richter sagte auch, die Behauptung, er sei täglich nur zehn bis 15 Minuten im Gericht gewesen, sei lachhaft. [...] „Ich habe versucht, pragmatisch, effizient, praxiskonform und gesetzestreu zu entscheiden“...

A-Shrek

Anonym hat gesagt…

Stuttgart (AP) Zu dreieinhalb Jahren Haft hat das Stuttgarter Landgericht am Freitag einen früheren Vormundschaftsrichter wegen Rechtsbeugung verurteilt. Der 45-Jährige hatte nach dem Urteil in 47 Fällen freiheitsentziehende Maßnahmen wie Bauchgurte oder Bettgitter für Heimbewohner genehmigt, ohne die Betroffenen anzuhören.

 

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