23 Dezember 2005

Bundesverfassungsgericht stoppt zu lockeren Umgang mit vorläufigem Berufsverbot

Das Bundesverfassungsgericht teilt eine Entscheidung vom 15.12.2005 mit:

Gegen den siebzigjährigen, wegen Nichtabgabe der
Einkommensteuererklärung vorbestraften Beschwerdeführer, der in seiner
ärztlichen Praxis drogensüchtige Patienten behandelt, ist ein
Strafverfahren wegen des Verdachts der Anstiftung von Patienten zu
Diebstählen sowie der sexuellen Belästigung von Patienten anhängig. Die
Erlöse aus den Diebstählen – so die Anklage – sollten als Bezahlung für
entstandene Behandlungskosten dienen. Die Hauptverhandlung vor dem
Schöffengericht wurde ausgesetzt, um ein Gutachten über die
strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers einzuholen.
Zugleich ordnete das Gericht ein vorläufiges Berufsverbot gegen den
Beschwerdeführer an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das
Landgericht als unbegründet. Die Verfassungsbeschwerde des
Beschwerdeführers hatte Erfolg. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts hob den Beschluss des Landgerichts auf, da er
den Beschwerdeführer in seiner Berufsfreiheit verletzt. Die Sache wurde
an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
§ 132 a StPO erlaubt im Strafverfahren die vorläufige Verhängung eines
Berufsverbots gegen einen Beschuldigten, wenn dringende Gründe dafür
sprechen, dass im Urteil ein „endgültiges“ Berufsverbot gegen ihn
verhängt wird. Ein Berufsverbot kann unter anderem angeordnet werden,
wenn ein Angeklagter wegen einer rechtswidrigen Tat verurteilt wird, die
er unter Missbrauch seines Berufes begangen hat. Zudem muss eine
Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat die Gefahr erkennen lassen,
dass er bei fortgesetzter Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit weitere
erhebliche Taten, die im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung stehen,
begehen wird. Aufgrund der überragenden Bedeutung der durch Art. 12 GG
garantierten Berufsfreiheit rechtfertigt aber allein das Vorliegen
dieser gesetzlichen Voraussetzungen die Verhängung eines vorläufigen
Berufsverbots nicht. Hinzukommen muss, dass die Anordnung erforderlich
ist, um bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens
Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter abzuwehren, die aus einer
Berufsausübung durch den Beschuldigten resultieren können. Dies ist vom
Gericht darzulegen und zu erörtern.

Das Landgericht benennt in den Gründen seiner Entscheidung nicht in
hinreichendem Maße Tatsachen, aus denen auf das Vorliegen einer
Wiederholungsgefahr geschlossen werden könnte. Der Umstand, dass es den
Beschwerdeführer für dringend verdächtig hält, zwei berufsbezogene Taten
begangen zu haben, begründet für sich gesehen noch nicht die gesicherte
Erwartung, er werde auch in Zukunft im Zusammenhang mit der von ihm
ausgeübten Tätigkeit strafrechtlich erheblich in Erscheinung treten. Die
abgeurteilten Steuervergehen waren keine berufsbezogenen Taten, weshalb
sie keinen Rückschluss auf eine Neigung des Beschwerdeführers zulassen,
die Ausübung seines Berufs zur Begehung von Straftaten auszunutzen.

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